Bill Gates und das Energie-Wunder

„Wir brauchen ein Energie-Wunder“, hat der Multimilliardär und Stifter Bill Gates 2015 im Gespräch mit einem Redakteur des US-Magazins „The Atlantic“ gesagt. Wichtigstes Thema des Interviews war die Frage, wie sich die durch Treibhausgase verursachte Erwärmung der Erdatmosphäre begrenzen lassen und eine von vielen Wissenschaftlern prognostizierte Klimakatastrophe verhindert werden könnte. Gates vertrat dabei eine Auffassung, die unter den Apologeten des technischen Fortschritts weit verbreitet ist: Das von ihm ersehnte „Wunder“ erfordert nämlich keine Gebete und keine Hoffnung auf göttliche Hilfe, sondern es kann von vernunftbegabten Menschen selbst vollbracht werden. Allerdings seien die Forderungen der in den USA immer einflussreicheren Divestment-Bewegung, Aktien und Anleihen von Unternehmen zu verkaufen, die ihr Geld mit fossilen Brennstoffen verdienen, die „falsche Lösung“.

Gates setzt seine Hoffnungen vielmehr auf eine Kohlenstoff-Steuer und vor allem auf gewaltige Anstrengungen von Forschen, Wissenschaftlern und innovativen Unternehmern, möglichst schnell saubere und zuverlässige Energiequellen zu entwickeln, die zu konkurrenzfähigen Preisen Strom und Wärme erzeugen können. „Der einzige Grund, warum ich im Hinblick auf dieses Problem optimistisch bin, ist Innovation“, betonte er. Innovation sei allerdings „ein sehr ungewisser Prozess”. Die einzig mögliche Lösung des Problems bestehe deshalb darin, das Innovationstempo „auf eine unnatürlich hohe Geschwindigkeit“ zu steigern und damit das erhoffte Energie-Wunder quasi zu erzwingen – auch und vor allem mit Hilfe privater Investoren. „In der Wissenschaft ereignen sich immerzu Wunder“, hält Gates möglichen Zweiflern entgegen.

Nun hat die jüngere Geschichte gezeigt, dass ein solch naiver Glaube an Wissenschaft und technologischen Fortschritt trotz anders lautender Versprechen ebenso wenig zur Lösung gesellschaftlicher Probleme geführt hat wie ein naiver Glaube an Gott. Kaum ein Mensch dürfte das knapper und treffender formuliert haben als der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig: „Das neunzehnte Jahrhundert war in seinem liberalistischen Idealismus ehrlich überzeugt, auf dem geraden und unfehlbaren Weg zur ›besten aller Welten‹ zu sein. Mit Verachtung blickte man auf die früheren Epochen mit ihren Kriegen, Hungersnöten und Revolten herab als auf eine Zeit, da die Menschheit eben noch unmündig und nicht genug aufgeklärt gewesen. Jetzt aber war es doch nur eine Angelegenheit von Jahrzehnten, bis das letzte Böse und Gewalttätige endgültig überwunden sein würde, und dieser Glaube an den ununterbrochenen, unaufhaltsamen ›Fortschritt‹ hatte für jenes Zeitalter wahrhaftig die Kraft einer Religion; man glaubte an diesen ›Fortschritt‹ schon mehr als an die Bibel, und sein Evangelium schien unumstößlich bewiesen durch die täglich neuen Wunder der Wissenschaft und der Technik.“

Und man hat sich getäuscht, weil diese „Wunder der Wissenschaft und Technik“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den zwei entsetzlichsten Kriegen beigetragen haben, welche die Menschheit bisher geführt hat. Als das autobiografische Werk „Die Welt von gestern“, dem das Zitat entnommen ist, 1942 erschien, hatte Zweig sich im brasilianischen Exil bereits das Leben genommen. In seinem Abschiedsbrief hatte er beklagt, dass „die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet“.

Vor diesem Hintergrund sei erwähnt, dass Gates in dem Atlantic-Interview ausgerechnet das Manhattan-Projekt als positives Beispiel für die Innovationskraft der Forscher angeführt hat. In diesem Projekt hatten die Vereinigten Staaten ab 1942 alle Aktivitäten zur Entwicklung ihrer Atombomben gebündelt – unter der militärischen Leitung des Generals Leslie Groves. „Die Innovationsgeschwindigkeit dort war wirklich atemberaubend“, schwärmte Gates, wobei er einräumte, dass die Erderwärmung angesichts ihrer globalen Dimension und Auswirkung eine größere Herausforderung darstellen dürfte.

Die Bill & Melinda Gates Stiftung hat sich übrigens zwischen September und Dezember 2015 von ihren rund 187 Millionen US-Dollar umfassenden Investments in den Öl-Giganten BP getrennt. Dies geht aus Berichten der US Wertpapier- und Börsenaufsicht SEC hervor. Davor hatte die Stiftung bereits ihre kompletten Anteile an Exxon Mobil verkauft, die einen Wert von etwa 824 Millionen US-Dollar gehabt hatten. Presseberichten zufolge ist der Wert der Stiftungsinvestitionen in größere Kohle-, Öl- und Gasunternehmen von rund 1,4 Milliarden US-Dollar Anfang 2014 bis Ende 2015 auf rund 200 Millionen US-Dollar zurückgegangen. Die Stiftung hat diese Entwicklung nicht kommentiert, aber vielleicht regen sich auch in Bill Gates Zweifel daran, dass ein technologisches „Energie-Wunder“ ausreichen würde, um eine Klimakatastrophe zu verhindern.


Externe Links:
„We Need an Energy Miracle“

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