Indexfonds mutieren zu aktiven Aktionären

Seit einiger Zeit schreibt Laurence D. Fink alljährlich einen Massenbrief. Fink, den die meisten Zeitgenossen kurz „Larry“ nennen, ist Gründer und Chef von Blackrock, der weltweit größten unabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft. Die rund 1.500 Adressaten seines Briefes sind die Vorstandsvorsitzenden der größten Aktiengesellschaften der Welt. Blackrock hält Beteiligungen an all diesen Unternehmen, und da die Gesellschaft in ihren Fonds insgesamt mehr als sechs Billionen US-Dollar verwaltet, gehört sie oft zu deren größten Einzelaktionären.

Finks jüngsten Brief hat das Handelsblatt im Januar 2018 als „Brandbrief“ und „Weckruf an die Dax-Chefs“ bezeichnet. Er forderte die Vorstände dazu auf, im langfristigen Interesse ihrer Unternehmen nicht nur auf die finanzielle Performance zu achten, sondern auch auf deren positiven Beitrag zur Gesellschaft: „Unternehmen müssen all ihren Stakeholdern nützen, einschließlich Aktionären, Mitarbeitern, Kunden und den Gemeinwesen, in denen sie agieren.“ Ohne klare gesellschaftliche Ziele könne kein Unternehmen sein volles Potenzial entfalten. Fehlen solche Ziele, liege der Fokus meist auf der kurzfristigen Gewinnmaximierung. Die Entwicklung der Mitarbeiter, Innovationen und Investitionen würden vernachlässigt, obwohl sie für ein langfristiges Wachstum notwendig seien.

Bereits in seinen vorherigen Briefen hatte Fink die CEOs dazu aufgefordert, langfristiger zu denken und zu handeln – beispielsweise durch den Verzicht auf übertriebene Aktienrückkaufprogramme und überhöhte Dividendenausschüttungen, die lediglich die kurzfristige Rendite der Aktionäre erhöhen.

Seine Begründung für diese Aktivitäten ist ebenso einfach wie überzeugend: Blackrock verwaltet mittlerweile rund vier Billionen US-Dollar in Indexfonds. Verwalter von Indexfonds sind Fink zufolge sehr langfristig ausgerichtet, weil sie die Aktien von Unternehmen stets so lange halten, wie diese in den jeweiligen Indizes vertreten sind. Außerdem enthalten die Portfolios der Indexfonds immer auch Aktiengesellschaften, die schlechter wirtschaften als ihre Konkurrenten und daher von aktiven Managern gemieden oder verkauft würden. Um der treuhänderischen Verantwortung gegenüber den eigenen Kunden gerecht zu werden, müsse sich ein Manager von Indexfonds darum bemühen, dass schlechte Portfoliounternehmen in Zukunft besser wirtschaften.

Ein Indexfondsmanager habe im Grunde genommen nur ein wirksames Mittel, um die Politik schlechter Unternehmen positiv zu beeinflussen: seine Stimmrechte auf Hauptversammlungen. Genau diese will Blackrock in Zukunft viel stärker und gezielter nutzen. Das zu diesem Zweck eingerichtete „Corporate Stewardship Team“ soll von derzeit etwa 35 Mitarbeitern auf die doppelte Größe wachsen. „Wir können die Aktien schlechter Unternehmen nicht verkaufen und müssen deshalb aktiver sein als aktive Manager“, erklärte Fink in einem Pressegespräch. Seine Überzeugung, dass ein aktiveres Engagement in einzelnen Unternehmen notwendig ist, sei auch der Katalysator für seinen jährlichen Brief an die Vorstände großer Aktiengesellschaften.

Allerdings will Blackrock in künftigen Hauptversammlungen nicht selbst als aktivistischer Investor auftreten: „Wir werden ein aktiverer, integrativerer Aktionär. Wir sind kein Aktivist und wollen auch keiner werden“, betonte Fink im Februar 2018 während eines Interviews. Allerdings habe Blackrock im vergangenen Jahr in 38 Prozent der Fälle, in denen aktivistische Investoren Anträge auf Hauptversammlungen gestellt hatten, für deren Anträge gestimmt. „Einige dieser Investoren treiben unserer Meinung nach Unternehmen an, die angetrieben werden müssen“, begründete er dieses Abstimmungsverhalten.

„Wir sind uns völlig darüber im Klaren, dass sich das Business-Ökosystem stark verändert hat und eine abschreckende Herausforderung für Unternehmen darstellt, die dem kurzfristigen Druck der Märkte widerstehen wollen“, hatte Fink bereits 2015 geschrieben. Dieser Druck habe ganz unterschiedliche Ursachen: Immer mehr aktivistische Investoren seien nur noch auf schnelle Gewinne aus, die Geschwindigkeit an den Kapitalmärkten sei erheblich gestiegen, die Medien produzierten ihre Nachrichten in immer kürzeren Zyklen, die Aufmerksamkeitsspanne der Mediennutzer und Investoren nehme ab und die Politik sei daran gescheitert, langfristige Investitionen zu fördern. Insofern sei die weit verbreitete Kurzsichtigkeit in den Chefetagen der Aktiengesellschaften ein Symptom eines größeren gesellschaftlichen Problems.

Fink hält es für wichtig, dass sich Investoren auf langfristige Strategien und Ergebnisse konzentrieren. Für den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen seien nicht nur eine gute Corporate Governance von Bedeutung, sondern auch ökologische und soziale Aspekte. Wenn Blackrock trotz des eigenen Engagements bei einzelnen Unternehmen keine Bereitschaft erkenne, die Interessen langfristiger Investoren zu wahren, werde die Gesellschaft auf Hauptversammlungen nicht zögern, gegen das Management dieser Unternehmen zu stimmen.

Selbstverständlich kann man hinterfragen, ob Fink solche öffentlichkeitswirksamen Pläne vor allem um der Sache selbst willen vorantreibt oder in erster Linie den Geschäftserfolg seines Unternehmens im Blick hat. Doch Marketing hin oder her: Fink gilt als progressiv und prinzipientreu. Er weiß, dass ihn die Öffentlichkeit und die Kunden von Blackrock an seinen Aussagen messen werden. Und er weiß, dass ein guter CEO seinen Ideen und Ankündigungen auch entsprechende Taten folgen lassen muss. Außerdem steht er mit seinen Ansichten nicht allein: Andere große Anbieter von Indexfonds, wie Vanguard und State Street, haben ähnliche Strategien entwickelt. Die Manager bedeutender Aktiengesellschaften sollten Indexfonds deshalb nicht länger als passive Investoren betrachten, sondern als kritische Großaktionäre wahrnehmen. Schon Anfang 2017 hatte Fink den CEOs dieser Welt eine klare Botschaft gesendet: „Ein langfristiger Ansatz sollte nicht mit einem grenzenlos geduldigen verwechselt werden.“

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