Nachhaltigkeit und die Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, kurz ESG, gewinnen in der Vermögensverwaltung zunehmend an Bedeutung. Während einer Konferenz zu nachhaltigen Geldanlagen Anfang November 2016 in Frankfurt haben mehrere Vertreter von Fondsanbietern bekannt, dass sie oder ihre Gesellschaften das Thema mittlerweile „in ihre DNA aufgenommen“ haben. Einer von Ihnen war Carlo Funk, seines Zeichens Vice President des deutschen Vertriebsteams für die zu Blackrock gehörenden ETF-Marke I-Shares. Funk zufolge sieht sich Blackrock als „treibende Kraft“, um politische und regulatorische Praktiken zur Verbesserung des ESG-Ansatzes zu unterstützen. „Das machen wir nicht aus Spaß, wir sind auch keine Öko-Freaks, sondern wir machen das aus geschäftlichen Gründen“, ließ er seine Zuhörer wissen. Nachhaltige Fondsprodukte würden von Investoren nachgefragt.
Deshalb reden Fondsanbieter nicht nur über Nachhaltigkeit, sie liefern auch Produkte. Funk betonte, dass allein die Zahl der von Blackrock in Deutschland angebotenen nachhaltigen ETF binnen eines Jahres von vier auf elf Fonds zugenommen hat – „Tendenz steigend“. Detlef Glow, Head of Lipper EMEA Research, kommentierte diese Produktoffensive der Fondsgesellschaften mit einer gewissen Zurückhaltung: Es gebe in Europa mittlerweile etwa 56 nachhaltige ETF, die zusammen aber lediglich ein Vermögen von knapp zwei Milliarden Euro verwalten. „Hier von einem wirklichen Markt zu sprechen, ist meiner Ansicht nach zu früh“, sagte er. Es stelle sich die Frage, ob es wirklich alle Anbieter ernst meinen oder ob es sich teilweise lediglich um Nachahmerprodukte handelt. Glow zeigte sich überzeugt, dass die Berücksichtigung nachhaltiger Faktoren in der Fondsbranche zum Mainstream wird. Dies werde aber nicht über spezielle Produktlinien geschehen, sondern „über die Integration von ESG-Kriterien in das gesamte Portfoliomanagement“.
Da die meisten anwesenden Experten diese Meinung offenbar weitgehend teilten, stellt sich die Frage, wie nachhaltig die Produktpolitik der Fondsgesellschaften tatsächlich ist. Werden „ESG“ oder „Nachhaltigkeit“ möglicherweise viel zu oft lediglich als verkaufsfördernde Labels an Produkte gehängt, die den damit zusammenhängenden Ansprüchen nicht oder nur unzureichend gerecht werden? Schon heute zeigen die angebotenen ESG-Ratings, dass vermeintlich konventionelle Fonds in dieser Hinsicht mitunter besser abschneiden als manch ein Fonds, der den Begriff Nachhaltigkeit werbewirksam auf seinem Etikett trägt. Grundsätzlich stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und inwiefern die Auflegung und Vermarktung spezieller ESG-Produkte noch sinnvoll erscheint, wenn jeder Publikumsfonds nicht nur Performance-, sondern auch ESG-Daten veröffentlicht. Sobald dies zur Regel oder Pflicht wird, können Investoren alle angebotenen Produkte im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der jeweiligen Portfolios vergleichen und beurteilen. Spezielle Produktlinien erscheinen dann im Grunde überflüssig. Das Etikett „nachhaltig“ erhielte einen anderen Sinn, weil nicht mehr die Marketing- und Vertriebsabteilungen darüber entscheiden würden, ob ein Produkt als nachhaltig bezeichnet wird, sondern seine ESG-Daten. Je schneller und intensiver die Integration der entsprechenden Kriterien in das Portfoliomanagement erfolgt, umso schneller könnten spezielle ESG-Fonds an Bedeutung verlieren. Fondsanbieter, die auf eine nahhaltige Entwicklung ihrer Produktpalette Wert legen, werden das vermutlich schon heute berücksichtigen.
Erstmals erschienen in pvm22 (Oktober/November 2016)