Investitionen sollten dauerhaft wie eine Ehe sein

Der britische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell hat John Maynard Keynes als einen der intelligentesten Menschen bezeichnet, dem er je begegnet ist. Diese Eigenschaft charakterisiert nicht nur Keynes wissenschaftliche Arbeiten und politische Aktivitäten, sondern ebenso sein Wirken als Investor: Es war für Keynes stets auch eine intellektuelle Herausforderung, auf den scheinbar chaotischen und irrationalen Aktienmärkten mit einer rationalen Herangehensweise Anlageerfolge zu erzielen. Auch bei der Geldanlage hat der brillante Ökonom nach intelligenten Strategien gesucht – und war damit nicht immer erfolgreich.

Dass Wissenschaftler und professionelle Vermögensverwalter Keynes bis heute als einen erfolgreichen Investor feiern, liegt vor allem an den Anlageergebnissen, die er für den Stiftungsfonds des King´s College erzielte. Keynes war seit 1908 Dozent an diesem zur Universität Cambridge gehörenden College und ab 1921 als Schatzmeisterer für dessen Stiftungsfonds verantwortlich. Entgegen den damals üblichen Gepflogenheiten investierte er einen großen Teil des Stiftungsportfolios in britische und später auch in amerikanische Aktien.

In den vergangenen Jahren hat der in Cambridge lehrende Ökonom David Chambers mit verschiedenen Kollegen mehrere quantitative Analysen über dieses Aktienportfolio veröffentlicht. Ein Ergebnis: In den 25 Jahren seiner Tätigkeit erzielte Keynes einschließlich der vereinnahmten Dividenden eine durchschnittliche jährliche Rendite von rund 16 Prozent, während der zum Vergleich herangezogene Index für den britischen Aktienmarkt lediglich um 10,4 Prozent hinzugewann.

Ein solcher Track Record würde auch heute noch reichen, um einem Vermögensverwalter Kultstatus zu verleihen. Doch dieser Durchschnittswert bedeutet nicht, dass sich die Aktienanlagen der Stiftung immer gut entwickelt haben: Vielmehr zeigen die Wissenschaftler, dass deren Wertentwicklung in den 1920er Jahren oft deutlich schlechter ausgefallen ist als die des britischen Aktienmarktes. Keynes scheiterte mit dem Versuch, mit Hilfe seiner Kenntnisse über Wirtschaftszyklen Anlageerfolge auf den Aktienmärkten zu erzielen. Nachhaltig positive Ergebnisse erwirtschaftete er erst, nachdem er sich von dieser Strategie verabschiedet hatte und stattdessen langfristig in sorgfältig ausgewählte Unternehmen investierte, deren Aktien er für unterbewertet hielt – heute würde man von einem Value-Ansatz sprechen.

Keynes selbst beschrieb sein Erfolgsrezept in einem anschaulichen Bild, indem er eine Investition mit der Ehe verglich: „Das Spektakel der modernen Anlagemärkte hat mich manchmal zu der Schlussfolgerung bewegt, dass es ein nützliches Heilmittel gegen unsere heutigen Übel sein könnte, den Kauf eines Anlageinstruments – abgesehen vom Todesfall oder anderen schwerwiegenden Gründen – dauerhaft und unauflöslich zu machen wie die Ehe. Dies würde Investoren nämlich dazu zwingen, sich einzig und allein auf die langfristigen Perspektiven zu konzentrieren.“

Diese Sätze stammen nicht aus irgendeinem Brief, einer zweitrangigen Publikation oder einem Interview, sie stehen in Kapitel 12 seines Hauptwerks „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, in dem er die Zusammenhänge der Aktienmärkte mit der Gesamtwirtschaft behandelt. Dort warnt er unter anderem davor, dass an den Aktienmärken und vor allem an der Wall Street immer mehr spekuliert und immer weniger nach eben diesem Prinzip investiert werde. Die Börsen erhielten dadurch zunehmend den Charakter von Spielkasinos anstatt sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, den Kapitalbedarf aussichtsreicher Unternehmen zu decken.

Ein Spekulant zeichnet sich Keynes zufolge dadurch aus, dass er vor allem an Kursgewinnen seiner Aktien interessiert ist und nicht an der langfristigen Entwicklung der Unternehmen, mit deren Anteilen er handelt. Spekulation sei ein Versuch, „die Psychologie des Marktes vorherzusagen“, welche die Aktienkurse je nach den Stimmungen und Launen der Marktteilnehmer kräftig schwanken lasse. Ein Investor interessiere sich dagegen vor allem für die langfristigen Erträge, die ein Unternehmen erwirtschaften kann und an denen er über sein Engagement teilhaben möchte.

Bleibt man bei dem von Keynes gewählten Bild, könnte man sagen: Eine Investition gleicht einer Ehe, während eine Spekulation den Charakter einer Affäre hat und ein kurzfristiger Trade einem One-Night-Stand ähnelt. Die allermeisten Menschen werden sich mit ganz anderen Vorbereitungen, Erwartungen und Zielen auf eine Ehe einlassen als auf eine Affäre, und es dürfte wenige Fälle geben, in denen Affären oder ein One-Night-Stands die Grundlage für glückliche Ehen waren. Ganz analog sollte es sich mit Investitionen, Spekulationen und kurzfristigen Trades verhalten – sofern man über die Fähigkeit verfügt, diese voneinander zu unterscheiden.

Keynes haben seine eigenen Anlageerfahrungen dabei geholfen, die Bedeutung dieser Unterschiede zu erkennen. Mit der Verwaltung des Stiftungsvermögens übernahm er die Rolle eines langfristig orientierten institutionellen Anlegers. In den 1920er Jahren hatte er vergeblich versucht, diese Aufgabe zu lösen, indem er auf Basis seines ökonomischen Wissens auf bestimmte Bewegungen der Aktienmärkte spekulierte – er ist sozusagen Affären eingegangen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen.

Diese Erfolge stellten sich jedoch erst seit den 1930er Jahren ein, nachdem er seine Strategie an die langfristigen Ziele der Stiftung angepasst hatte, indem er große Summen in Aktien einiger weniger Unternehmen investierte, die er ebenso sorsam und gewissenhaft auswählte wie einen Ehepartner. Keynes Biograph H.F. Harrod hat diese Anlagephilosophie wie folgt zusammengefasst: „Er wählte Investitionen mit großer Sorgfalt aus und hielt auch in schwierigen Zeiten mutig an dem fest, was er ausgesucht hatte.“ Eben ganz wie in einer guten Ehe.


Vertiefender Originaltext:
John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money
Chapter 12. The State of Long-Term Expectation

Externe Links:
David Chambers, Elroy Dimson, Justin Foo: Keynes the Stock Market Investor: A Quantitative Analysis
David Chambers, Ali Kabiri: Keynes and Wall Street

 

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